Landesrat Widmann in Ridnaun

25. Oktober 2019 Aus Von Matthias
 
POLITIK

Bürgerversammlung in Ridnaun

30.10.2019
Vor Kurzem fand im Vereinshaus von Ridnaun eine Bürgerversammlung zum Thema Sanität in Südtirol statt. Speziell ging es um die Gesundheitsversorgung im Wipptal und das Krankenhaus Sterzing.

Sebastian Helfer, Bürgermeister der Gemeinde Ratschings, und SVP-Ortsobmann Matthias Braunhofer begrüßten dazu Dr. Michael Engl, ärztlicher Direktor des Krankenhauses Sterzing, Pflegedienstleiter Harald Frena und Sanitätslandesrat Thomas Widmann.
„Wir haben vier Gesundheitsbezirke, 20 Gesundheitssprengel und sieben öffentliche Krankenhäuser – und es sollen auch sieben Krankenhäuser bleiben“, eröffnete Sanitätslandesrat Thomas Widmann seinen Vortrag. Der gesamte Sanitätsbetrieb definiere sich nicht nur über die einzelnen Krankenhäuser, sondern über eine Vielzahl verschiedener Leistungen. Was jedoch in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde, seien fast ausschließlich die Krankenhäuser. Bei seinen Besuchen in den Bezirken, so Landesrat Widmann, habe er die Erfahrung gemacht, dass die Arbeitnehmer und die Patienten zwar mit der Leistung des Sprengels und des Krankenhauses vorort zufrieden seien, aber nicht mit dem Sanitätswesen als Ganzem. Andere Bereiche, die ebenfalls zur Gesundheitsversorgung gehörten, würden nicht als Teil davon empfunden. „Die Medien schreiben immer nur über das Problem der langen Wartezeiten, überfüllte Notaufnahmen, Kündigungen von Primaren oder anderer Probleme und das verzerrt das Bild über das Sanitätswesen. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass nichts funktioniert“, so Widmann.

Was funktioniert? Was nicht?
Mit 10.758 Mitarbeiter, davon 7.274 ärztliches Personal, gehöre der Sanitätsbetrieb zu einem der wichtigsten Arbeitgeber im Land. Zu den gut funktionierenden Bereichen zählte Widmann die stationäre Betreuung, die Leistung in den Gesundheitssprengeln, das Unfall- und Rettungswesen, die Leistungen der Basisärzte und einige Krankenhausabteilungen, die auch international gesehen Top-Niveau erreichten. Zu den kritischen Bereichen gehörten die fachärztlichen Leistungen, bedingt durch den Fachkräftemangel, – glücklicherweise, so Widmann, sei nun die Fachärzteausbildung nach österreichischem Modell wieder möglich. „In Sterzing werden nach diesem Modell fünf neue Ärzte ausgebildet, landesweit sind es 50 und 60 weitere haben sich angemeldet“, erklärte Widmann. Aufholbedarf gebe es in den Bereichen Informatisierung, einheitliches Krankenhausinformationssystem, einheitliche Datenbanken und bei den langen Wartezeiten. „Durch den Fachärztemangel und den Mangel an Pflegekräften haben wir in manchen Bereichen Wartezeiten, die nicht mehr tolerierbar sind“, erklärte Widmann. In der Kritik stehe auch die Notaufnahme in Bozen, die überlaufen sei und von Patienten aufgesucht werde, deren gesundheitliche Probleme nicht dringend seien – diese könnten ebenso gut von einem Hausarzt betreut werden. „Laut den neuesten Zahlen sucht rund die Hälfte der Bevölkerung einmal pro Jahr die Notaufnahme auf“, betonte Widmann. Die großen Herausforderungen der Zukunft werden allerdings die ständige steigende Zahlen an chronisch Kranken sein: Rund 71 Prozent der Kosten des Sanitätsbetriebes entfallen auf rund 29 Prozent der Patienten, die an einer chronischen Krankheit leiden. Weshalb größere Aufmerksamkeit auf die Prävention gerichtet werden müsse, so Widmann. Derzeit seien rund 78.000 Senioren chronisch krank, im Jahr 2035 werden es vermutlich rund 110.000 sein. „Wir wissen noch nicht, woher wir die finanziellen Mittel dafür nehmen werden“, erklärte der Sanitätslandesrat. Ein Lösungsversuch könnte in der Verbesserung des Territoriums liegen, indem man beispielsweise die verschiedenen Betreuungspfade (Diabetes, Rund um die Geburt, Diagnose Krebs usw.) ausbaut. Damit sollen letztendlich die Krankenhäuser entlastet werden. Enorme Kostensteigerungen sind auch durch innovative Behandlungsmethoden und neue Medikamente zu erwarten. Der Preis einiger Medikamente, die im Kampf gegen seltene Krankheiten eingesetzt werden, betragen mehrere Hunderttausend Euro. „In Zukunft wird es auch eine Frage der Ethik sein, wieviel der Gesellschaft ein Menschenleben wert ist“, betonte Widmann.

Wartezeiten
Bis Ende 2020 sollen die Wartezeiten in der Notaufnahme von Bozen halbiert und auf rund zwei Stunden begrenzt werden, erklärte der Sanitätslandesrat. Erreicht werden soll das durch eine Kostenbeteiligung in nicht dringenden Fällen und der Einrichtung eines Polyambulatorium für Primärversorgung, das voraussichtlich mit 1. Jänner starten soll. Basismediziner, sprich Hausärzte, sollen hier die leichteren Fälle, die rund die Hälfte der Notaufnahme-Patienten ausmachen, versorgen. Sollte dieses Modell erfolgreich sein, könnte auch in den anderen größeren Krankenhäusern ein Polyambulatorium eingerichtet werden. „In allen Bereichen die Wartezeiten zu verkürzen, wird auf die Schnelle nicht möglich sein“, erklärte Widmann. Im kommenden Jahr möchte man versuchen, zumindest in den Bereichen Dermatologie, Augenheilkunde und HNO 90 Prozent der Prior-Visiten innerhalb von 10 Tagen zu ermöglichen und 80 Prozent der aufschiebbaren Visiten innerhalb von 30 Tagen. Auch Termine für Magnetresonanz-Scans sollen innerhalb von 60 durchgeführt werden. Falls das öffentliche Gesundheitssystem, zu dem man sich klar bekenne, diese Leistungen nicht erbringen kann, werde man auf private Anbieter zurückgreifen.

Krankenhaus Sterzing
„Ich stehe ohne Wenn und Aber zu den kleinen Spitälern“, betonte Widmann. Ein Arbeitgeber wie das Krankenhaus Sterzing, das rund 370 Mitarbeiter beschäftigt und von dem rund 1.000 Familien direkt oder direkt abhängen, dürfe nicht infrage gestellt werden. „Politisch garantieren wir, dass der Dienst aufrechterhalten bleibt“, erklärte Widmann. Dies sei kein Kurswechsel, sondern Teil der Strukturpolitik. Eine klare Garantie für den Standort Sterzing seitens des Sanitätslandesrates – zumindest in dieser Legislaturperiode.
Mitte Dezember wird Dr. Peter Lino Thüringer, Primar der Inneren Medizin im KH Krankenhaus Sterzing, das Krankenhaus verlassen und als Hausarzt nach Brixen wechseln. Sowohl diese Stelle als auch die Primariate für Anästhesie (soll Mitte November ausgeschrieben werden) und Pädiatrie (Dr. Konrad Mussner wird demnächst in Pension gehen) sollen nachbesetzt werden, so Widmann. Die Neuroreha soll als Alleinstellungsmerkmal gefestigt werden. Widmann stellte auch in Aussicht, eine IRCCS- Forschungsabteilung in Sterzing anzusiedeln. Derzeit werden Verhandlungen geführt. Geplant sei ebenfalls, die Basisärzteschaft und die Apotheken südtirolweit neu aufzustellen.

„Trotz widriger Umstände in der Vergangenheit – auch von politischer Seite – ist es gelungen, die Qualität in den vergangenen Jahren zu erhöhen. Das Krankenhaus hat jetzt wieder einen verantwortlichen Arzt als Leiter und einen Pflegedienstleiter – diese Führung vor Ort ist für das Krankenhaus sehr wichtig“, erklärte Dr. Michael Engl. In der Vergangenheit habe es in der Inneren Medizin etliche „nicht so optimale Besetzungen“ gegeben, fuhr der ärztliche Leiter des Krankenhauses Sterzing fort. Der derzeitige Primar Dr. Thüringer wird demnächst als Hausarzt nach Brixen wechseln. Auch hier stehe man in intensiven Gesprächen mit möglichen Kandidaten, um die Stelle so schnell wie möglich nachzubesetzen. Ein Nachfolger wird auch für Dr. Konrad Mussner, Primar der Pädiatrie, gesucht, der demnächst in Pension gehen wird. „Wir hoffen, dass Dr. Robert Pfitscher, der in wenigen Jahren ebenfalls in Pension gehen könnte, der Chirurgie noch länger erhalten bleibt“, so Dr. Engl. Zum Thema Tumoroperationen im Bauchraum, die aufgrund der fehlenden Zertifizierung in Sterzing nicht mehr durchgeführt werden dürfen, gebe es allerdings noch keine Lösung. Die Orthopädie, geleitet von Dr. Engl, expandiere bereits seit Jahren. Inzwischen sei man bei 500 Prothesen-Eingriffen jährlich angekommen. Damit liege man im mittleren Spitzenfeld. Die Neuroreha habe sich für das KH Sterzing zu einer wertvollen Einrichtung entwickelt, ebenso die wissenschaftliche Forschungsarbeit, die dort durchgeführt wird. „Wenn sie weiterhin so gute Arbeit leisten, wird die IRCCS-Forschungseinrichtung wohl zwangsläufig kommen“, betonte Dr. Engl. Derzeit arbeite man am Aufbau der Rheumatologie. Das Polyambulatorium werde von Brixen mitbetreut, ebenso die Gynälologie.
Harald Frena, Pflegedienstleiter im KH Sterzing, bedankte sich bei Dr. Franz Ploner, der im Publikum saß, für dessen Leistungen und Verdienste um das Krankenhaus Sterzing. Weiters unterstrich er die Ausführungen von Dr. Engl und betonte, dass sich in den vergangenen Jahren viel in puncto Digitalisierung und Modernisierung getan habe.

Diskussion
Bei der anschließenden Diskussion brachten sich nicht nur interessierte Bürger ein, sondern einige Personen, die selbst im Gesundheitssektor tätig sind wie Hebammen, Pflegepersonal sowie Dr. Franz Ploner und Dr. Stefan Gögele.
Chronische Krankheiten des Alters könnten bereits in der Schwangerschaft bekämpft werden und bereits hier müsste eine gute Versorgung beginnen. Während die Geburtenabteilung in Sterzing geschlossen wurde, sei jene in Brixen teilweise überlastet. „Warum setzt die Politik nicht hier an?“, fragte eine Hebamme aus dem Publikum und betonte, dass auch der Betreuungspfad „Rund um die Geburt“ bereits vor Jahren gestartet worden sei, aber kaum Stellenangebote für Hebammen ausgeschrieben würden. „Eine gute Gesundheitsversorgung beginnt bereits bei der Geburt, weshalb wir im Sanitätsbetrieb eine klinische Epidemiologie brauchen“, erklärte Dr. Engl. Die Einführung einer solchen habe er bereits angeregt. Zu den Stellenausschreibungen für Hebammen erklärte Landesrat Widmann, dass die Landesregierung die Voraussetzungen geschaffen habe, um im Gesundheitsbezirk Brixen 23 ½ Stellen auszuschreiben.
„Es geht nicht um mein Projekt und nicht um dein Projekt, sondern um das Projekt unserer Bevölkerung“, meldete sich Dr. Ploner zu Wort. Er habe gute Zeiten erlebt, aber auch Zeiten, in denen ihm zum Weinen war. Zurückblickend auf die Geburtenstation merkte er an, dass Sterzing das erste Krankenhaus war, in der die schmerzfreie Geburt angeboten wurde – ein Angebot, das es heute noch nicht einmal in Bozen gibt. Als einziges Krankenhaus habe Sterzing den 24-Stunden-Dienst des vorgeschriebenen Fachpersonals in der Geburtenabteilung garantieren können. „Schade, Thomas, dass du damals nicht da warst! Wir hätten es vielleicht verhindern können“, erklärte Dr. Ploner. Man habe eine sehr hohe Qualität in der Geburtshilfe anbieten können, die heute nicht mehr vorhanden sei. Auch die Einschränkung der beruflichen Tätigkeit des Primars Dr. Robert Pfitscher hätten ihm wehgetan. „Wir haben uns selbst immer den höchsten Qualitätsstandard gesetzt“, so Dr. Ploner.
„Die Ungewissheit, wie es mit dem Krankenhaus Sterzing weitergehen soll, ist für uns alle eine schwierige Zeit gewesen, die uns auch gelähmt hat“, so Dr. Engl, der sich für die Stellungnahme Dr. Ploners bedankte.
Eine Krankenschwester, die seit 13 Jahren bei den „Tirol Kliniken“ arbeitet, erklärte, dass es für sie keinen Anreiz gäbe, nach Südtirol zurückzukehren. Zum einen ließen die Teilzeit-Modelle weniger Spielraum zu, zum anderen sei das Stammrollen-Prinzip ein wesentliches Hindernis. Das Fachpersonal sei zwar da – aus ihrem Bekanntenkreis pendelten an die 25 Krankenschwestern nach Nordtirol – es gebe aber keine Anreize, nach Südtirol zurückzukommen. In puncto Informatisierung und Dokumentation hinke man Nordtirol noch weit hinterher. Bzgl. Teilzeitarbeitsmodelle konnte Pflegedienstleiter Frena berichten, dass in Bälde weitere Teilzeit-Modelle angeboten werden sollen. „Es wäre nicht richtig, Hoffnungen zu wecken, wo das Land Südtirol keine Kompetenzen hat“, erklärte Widmann zum Thema Stammrolle. Dieses
Angestelltenverhältnis sei in der italienischen Verfassung verankert und als solches nicht zu ändern. Klarerweise gebe es in einer Grenzregion Dinge, die im Ausland besser funktionierten andere wiederum nicht. Mit den Gehältern in der Schweiz könne man nicht konkurrieren, die Absicherung während der Karenz sei hingegen in Italien besser.

Eine ältere Frau berichtete von ihrem Erlebnis in der Ersten-Hilfe in Sterzing, wo ein Arzt seinen Dienst versah, der nur Italienisch sprach. Besonders ältere Menschen würden sich damit schwer tun. Auf der Suche nach Übersetzern ginge viel Zeit verloren. Ein anderer Zuhörer brachte sein Missfallen zum Ausdruck, dass man offenbar auf dem Weg zu einer Zwei-Klassen-Medizin sei. Eine weitere Zuhörerin wies daraufhin, dass das Damokles-Schwert einer Schließung nicht zum ersten Mal über Sterzing niederzusausen drohte. Seit dem Bau habe man die Struktur in Frage gestellt. Eine weitere Krankenschwester gab zu Bedenken, dass auch die Chirurgie, nachdem dort außer einem Leistenbruch quasi nichts gemacht werden dürfe, in Frage gestellt sei. „Wie soll so einem jungen Arzt die Chirurgie schmackhaft gemacht werden und wie möchte man einen Nachfolger für Dr. Pfitscher finden, wenn dieser in Pension geht?“, so die Zuhörerin. Seit der Pensionierung von Dr. Josef Frötscher (ehemaliger Primar der Inneren Medizin im KH Sterzing) sei in dieser Abteilung ein ständiges Kommen und Gehen gewesen. Einige hätten sich vor ihrer Pensionierung in Sterzing quasi ausgeruht, so die Zuhörerin. Man habe beobachten können, wie die Leistungen auf der Abteilung Innere Medizin sich von Jahr zu Jahr verschlechtert hätten.
„Ich kann noch keinen Namen nennen“, erklärte Dr. Engl, „aber es laufen bereits Gespräche mit einem potentiellen Nachfolger, der auch eine gute Wahl zu sein scheint“. Dass es in der Vergangenheit zu Fehlbesetzungen gekommen sei, stehe außer Zweifel. Man sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden und seinerzeit mit einem Primar beglückt worden, bevor die Ausschreibungsfrist überhaupt beendet war. Es seien wirklich grobe Sachen passiert, so Dr. Engl. Die onkologische Chirurgie als Teilgebiet der Chirurgie sei derzeit in Sterzing nicht anbietbar, man sei dabei, in Gesprächen eine Lösung dafür zu suchen.
Dr. Gögele sprach dem Landesrat seinen Dank aus, da man sich nun wieder seit langer Zeit ernst genommen fühle. „Wenn das Krankenhaus Sterzing so weitermacht, wie es jetzt den Anschein hat, dann mache ich mir keine Sorgen um die gute Versorgung der Bevölkerung“, so Dr. Gögele. Das KH Sterzing sei aber das Um und Auf für eine gute territoriale Versorgung. Jahrzehntelang habe ein Ungeist vorgeherrscht, der die Existenz des KH Sterzings infrage gestellt habe, ein Bekenntnis zum Standort könne für die Bevölkerung nur positiv sein.
Auf die Frage, was die Schließung der Geburtenstation in Sterzing dem Gesundheitsbetrieb gebracht habe, erklärte Landesrat Widmann, dass er das vom medizinischen Standpunkt aus nicht beurteilen könne. Soweit ihm bekannt sei, sei es nie eine Kostenfrage gewesen, sondern eine Frage der Fallzahlen, die von Rom vorgegeben wurden. „Ich war nicht dabei, ich habe es nicht beschlossen und somit ist es jetzt, wie es ist! Wir haben das Krankenhaus nun gemeinsam neu aufgestellt und wir werden in Zukunft schauen, das Beste daraus zu machen“, erklärte Widmann abschließend.
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Quelle:https://www.dererker.it/de/news/7966-buergerversammlung-in-ridnaun.html